Kein harmloser Fall

“Guter Mond, Du gehst so stille…”. Schon immer faszinierte der fahle Erdtraband die Fantasie der schreibenden Zunft. Heinrich Heine, Friedrich Gottlieb Kloppstock, Matthias Claudius, Friedrich Rückert oder der gute alte Goethe – alle outeten sie sich in ihren Werken als Somnambuliteraten.
In der Romantik und ihrer oft allzu verniedlichenden Naturbetrachtung wurde aus dem ursprünglich mit Ambivalenz betrachteten Gestirn ein Versatzstück harmloser Märchen. Doch sind Märchen selten harmlos, und der Mond ist es auf keinen Fall.

Mit Magie ist er eng verbunden, Hexen beteten in ihm die Göttin Diana an, Hekate die Schreckliche, Lilith die Verführerin. Starke Frauen allesamt und damit ein schmerzhafter Dorn im trüben Auge vieler Kirchenväter. Der Mond war ein Dämon, dem schreckliche Opfer dargebracht wurden. In seinem kranken Licht spielte der Große Pan die doppelte Flöte.
Als Herr der Fluten gebietet er über die Gezeiten der Meere und jene der Frauen. Sein unheilvoller Einfluss kann die Menschen in den Wahnsinn treiben. Schlafwandler und Untote folgen dem Ruf des Vollmondes, Lycantrophie und Vampirismus gedeihen in seinem geborgten Schimmer. Sein nächtliches Sterben und Wiederauferstehen macht ihn zum Gefährten des Todes.
Andererseits schützt er die Liebenden und spendet den der Heimat Fernen Trost und Hoffnung. Schon Dante beschreibt in seiner Comedia Divina die tröstliche Wirkung des Mondes im düsteren Waldesdickicht, und viele Monde später konnte Hermann Hesse selbst dem „Tuttlinger Mond“ noch etwas hübsches abgewinnen. Nun, sei’s drum…

Der Autor der Somnbamballaden scheint weniger dem tröstlichen als vielmehr dem ungeilvollen Einfluss lunarer Tätigkeit auf der Spur zu sein. Ich möchte es hier dahingestellt sein lassen, ob uns geistig doch hoffentlich gefestigten Lesern dieser Umstand Grund zur Sorge bereiten sollte. Vielmehr möchte ich darauf hinweisen, wie diese Mondscheinlyrik Einblick in die unausgeloteten Tiefen einer getriebenen Seele gewährt, Einblicke allerdings, die uns an manche unserer ureigensten, dunkelsten Seiten gemahnen.
Ob mittelalterlicher Totentanz, Feenglaube oder in allzu krasse Bilder gepresste Sozialkritik – hier wird alles zu einem Alpdruck verursachenden Gebräu verrührt, dessen Genuss ich nur in homöopathischen Dosen empfehlen möchte. Andererseits zeigt uns diese kryptische Sammlung obskurer Lyrik wieder einmal, dass der Mond auch in Zeiten von Amalgamfüllungen, Steuerformularen und Menschen in Acryl-Trainingsanzügen seinen Zauber nicht verloren hat. Er ist, um mit Jorge Luis Borges zu sprechen, „eins der Symbole, die dem Menschen bleiben“. Tröstlich zu wissen.

Ignatius Glaubersaltz*,

 

*Prof. Dr. Ignatius Glaubersaltz ist Lehrbeauftragter am Institut für Angewandte Geheimniskrämerei in Schisma an der Mauschel. Er lebt zurückgezogen mit einem Gnu und sieben Katzen in einem Bahnwärterhäuschen an den verkrauteten Ufern der Mauschel. Als Autor verschiedener bahnbrechender Werke auf dem Gebiet der Selenologie erwarb er sich internationalen Ruhm.

 


FirlefanzTotentanz

Firlefanz, Totentanz,
Schmätzen aus den Gräbern.
Nachtgrab nagt an Rattenschwanz,
Suff nagt an den Lebern.

Lautes Leben,
stille Nacht,
Schatten kriecht aus Ecken.
Totenuhr im Balken kracht,
Sensenmann zu wecken.

 
Entscheidung auf dem Nachhauseweg
Wer harrt,
was scharrt
dort vor der Tür
in blauer Mondlichtnacht?
Wer wartet dort so
atem
los
in seltsam alter Tracht?

Wer dreht den kahlen Schädel mir?
Was reckt die dürre Kehl?
Die Haut, sie raschelt wie Papier,
die Augen glotzen scheel.

Wer greift mit langer Hand
nach mir?
Was grient mir ohne Lippen
Trost?

Ist mir egal!
Ich will’s nicht wissen!
Und geh noch einen nippen.
Prost!


Somnamballade
In regennassen Gassen
Gaukelst,
Auf dunklen Wassern
Schaukelst
Du Dich
Des nachts.
Geisterbeschwörer,
Betörer
Von Dichtern und Katzen.

Lächelst schelmisch
In mein Zimmer
Oder schneidest
Grauenhafte Fratzen
Durch schwarze Silhouetten.

In krankem,
Bleichem Leichenschimmer
Summst versunken Du Sonetten,
Balladen aus den alten Tagen,
Als Du noch Gott,
Dämon
Gewesen bist.
Als man mit Menschenopfern
Füllte Dir
Den leeren Magen,
deren Geschmack Du nicht vergisst,

Wenn
Du
Dich
In regennassen Gassen schaukelst,
Auf dunklen Wassern gaukelst.
Des nachts.
Geisterbeschwörer,
Betörer von Dichtern
Und Katzen.


Novemberabend
Draußen
Der Sturm plagt,
Drinnen
Der Wurm nagt.
Gedärme, Gebein,
Mahlende Pein,
Ewiges Kauen,
Eiskaltes Grauen.
Nach warmer Stube
Wartet die Grube
Auf alles Gekrieche,
auf Alte und Sieche!
Auf mich!
Und auf Dich!
…wie fürchterlich!

Kinderschreck
In des sterbenden Tages Stille
Gehst Du versonnen die Wiesen entlang.
Nachzuspüren ist Dein Wille
Den Kindermärchen, dem alten Gesang.

Im goldenroten Nebelschein
Der letzten Abendsonne
Klingt ein Märchenhaftes Lied:
Du lauschst ihm mit fiebriger Wonne…

…feine Elfchen, schräge Engel,
Dämmerscharen schwärmen leise,
Läuten Glockenblumenstängel
Zu der Abendstimmungsweise.

Blicken aus kohlschwarzen Äuglein
Dich so seltsam hungrig an,
Zwicken mit den dünnen Händlein
Mit den spitzen Nägeln dran…

…in Dein Fleisch, Dein warmes,
beißen scharfe Zähnchen!
Und hundert durstig-klamme Zünglein
Trinken Deine Tränchen.

Trinken Deinen roten Saft
Bis zum letzten Tropfen.
Schnell verlässt Dich Deine Kraft,
Herz
Hört auf
Zu klopfen.

Stille! Stille ist es dann.
Kein Laut mehr und keine Pein.
Das letzte Feeflügelschimmern
Verloren im Abendrotschein.

Letztes Röcheln ist verklungen,
Bleich liegt die zerschundene Haut.
Nur zur Flucht Deines Seelchens
erklingt
der Glockenblumen
lieblicher Laut.


Mühlennächte
Sie liebte die Nacht,
die dunkle, die kühle,
Zikadenballaden
Am Strom bei der Mühle.

Saß Stunde um Stunde
Am Ufer im Ried,
Zu Zeiten,
An Plätzen,
Die jeder sonst mied.

Sie liebte die Schatten,
Gestalten der Schwärze,
Sie tanzten zum zuckenden Schein
Einer Kerze.

Und als man ihr wehrte
Mit Stricken und Schlägen
Und band sie fest nächtelang,
Da kamen zu Gast,
welche heimlich gewartet
der nächtlichen Freundin Gesang.

Und als man sie strafte
Und warf in den Keller,
da weinte sie laut in der Not.
Da kamen zu Gast,
Welche heimlich gewartet
Und holten sie alle
Zum Tanz
In den Tod!


Gehörnter Mond

Dunkelheit
Greifbar
Klebt wie Spinnweben
Am Fenster,
klumpt
Am Rande
Des Lichtkegels.

Dergehörnte Mond
Taumelt
Seit Stunden über dem Schwarz
Der östlichen Hügel,
Glimmt,
Nur für sich selbst,
Sinnt träumend
Halbverdaute Geschichten,
Pochende Träume
Aus Düsternis
Und fahlem Glühen.

Wispernde Helfershelfer
Auf unheiligen Schwingen
Tragen sie
Hin zu den Schläfern
In schweißfeuchten Betten,
Um sie dort
In Münder, Ohren
Und Hirne zu stopfen.


Winterlied

Kalt geworden
Über Nacht.
Eistuch, weißes,
knirscht und kracht.

Tauber Himmel,
Trübes Grau,
Böses Licht durchs Fenster.
Schneegewimmel,
märchenblau,
Schweigende Gespenster.

Alle Orte
Nature Morte,
Rabenkehlen
Werden wund.

Schwere Stiefel,
Tiefe Spur,
Bis zum finstern Erdenrund.


Gruß von fern

Hag‘rer Wand’rer,
Stummer Narr,
Klapperst leis‘
Beim Gehen.

Hast mich
Aus der Ferne heut‘
Freundlich angesehen.

Wand’re weiter
In die Nacht,
Trage Deine Bürde,
singe Deine schwarzen Lieder
einsam und in Würde.

Hag’rer Wand’rer,
stummer Narr,
klapperst leis‘
beim Gehen.

Bin kein Wand’rer,
lass mich noch
In der Sonne stehen.


Frohe Runde

Bachanalen!
Bachanalen!
Tanzt!
Zum Röcheln ew’ger Qualen!
Gröhlen, Saufen, blödes Lachen,
Torkeln an des Todes Rachen!
Schreien, Schlagen, Fressen, Ficken,
Nur
Um nicht hinabzublicken
In der Hölle faul’gen Schlund.
Noch gibt es Schmerzen!
Noch geht es rund!

Totentänze!
Totentänze!
Schlaffe Brüste,
Welke Schwänze,
Irre Polka, Stolperschritt,
rast die Meute, Tod rast mit!
Bettler, Päpste lachen töricht,
allesamt ein Haufen Kehricht!
Allesamt hinab!
Hinab!
Ins elendigliche Grab…

…schafft sie
Der Dunkle
Mit der Schippen,
Letzte Flüche
Auf den Lippen.


Feierabend

Schmatzend, schnaufend, wühlend, grabend,
Naht der letzte Feierabend.
Kommt von unten,
Packt Dich dann
Fest am Knöchel,
Ziehet dran;
Feucht und klamm die Hände,
Hin zu Deinem Ende.

Und selbst wenn er noch lange braucht:
Der Gräber begann schon lange.
Horch nur!
…wie er schaufelt und kraucht.
Da wird es dem Lauscher bange…
Nachtgebet

Großer, dunkler, grimmer Schnitter
Blicke doch nicht gar so bitter.
Senke Deinen  scharfen Stahl,
Schone meine Knochen.
Ich stricke Dir auch einen Schal,
Will Dir ein Süppchen kochen.

Lieber guter Knochenmann,
schau mich nicht so finster an.
Bin doch nur ein armer Wicht
Mit Schwielen an den Füßen,
Schreibe Dir auch ein Gedicht,
Dich ganz lieb zu grüßen.